Angebote anzunehmen gehört zu den Grundlagen des improvisierten Theaters. Wer jedoch denkt, dies sei ein Thema (nur) für Anfänger*innen, der*die irrt. Ich bin überzeugt, dass es sehr viel praktische Übung braucht und uns als Herausforderung immer wieder begegnet, ja sogar eine Lebensaufgabe ist, darin wirklich besser zu werden. Warum ist das so?
Also, grundsätzlich sind Pläne ja etwas Gutes. Wir folgen nicht jedem spontanen Impuls, trinken nicht noch einen Kaffee, sondern holen wie geplant die Kinder vom Kindergarten ab. Wir buchen nicht sofort den Traum-Urlaub, wenn die Werbung im Fernsehen läuft, sondern beenden den Bericht, der am nächsten Tag abgegeben werden muss. Pläne geben uns Sicherheit und Struktur und bewahren uns davor, auf alle weniger wichtigen Impulse sofort zu reagieren. Deshalb ist unser Gehirn auch erst einmal darauf ausgelegt, einen Plan nicht sofort zu verwerfen und das Unerwartete umstandslos anzunehmen. Allerdings stehen Pläne uns beim Einstellen auf neue Situationen eben häufig auch im Weg.
Auch die Magie des Improvisationstheaters entsteht eben (leider) dadurch, dass wir unsere Pläne immer wieder loslassen (müssen). Wir gehen auf die Bühne, um die böse Hexe sein und werden von den Kolleg*innen als gute Fee umdefiniert. Wir holen also einen gemimten Ring aus der Tasche, um dem Angebeteten den gewünschten Heiratsantrag zu machen, der springt aber zurück und schreit: „Steck den Revolver weg.“
In solchen Situationen gibt es eine Tendenz, an der eigenen Idee festzuhalten. Das klingt dann meist so: „Nein, ich bin doch die böse Hexe.“ Wenn der*die Kolleg*in loslassen kann, gibt es vielleicht die Antwort: „Ach so, ich hab dich gar nicht gleich erkannt.“ (Wenn nicht, folgt ein längerer Streit darüber, wer denn nun Recht hat.) Damit habe ich erfolgreich meine Idee durchgedrückt, aber was ist dabei gewonnen? Gewonnen hat in der Regel mein Sicherheitsbedürfnis … und mein Ego.
Ersteres ist in der Regel leichter zu identifizieren. Dabei geht es um den Moment, in dem wir in unserer ganzen Verletzlichkeit zu sehen sind. Als Zuschauer*innen lieben wir das. Als Agierende aber schlägt unser ganzes internes Sicherheitssystem Alarm. Die Aufgabe liegt nun darin, diesen Moment kennen-, aushalten und vielleicht sogar lieben zu lernen. Keine leichte Aufgabe? Nichts gegen den zweiten Gewinner des Festhaltens an der eigenen Idee: Das eigene Ego.
Wenn ich es schaffe, meine eigene Idee in die Szene zu bringen, habe ich das gute Gefühl, mich eingebracht zu haben, sichtbar zu sein. Wenn mein*e Kolleg*in meine Idee auch noch aufnimmt, fühlt sich das für mein Ego extrem gut an. Es ist wie eine Streicheleinheit für unser Selbstwertgefühl: „Ich bin kreativ.“, „Ich habe gute Ideen.“, „Ich werde wahrgenommen.“ Das Problem ist, dass ich meinem Gegenüber genau dieses Gefühl nicht gebe. Anstelle uns auf die Improvisation und die gemeinsame Szene zu konzentrieren, hole ich mir also eine Streicheleinheit für mein Selbstwertgefühl. Das zu verstehen und den Selbstwert nicht daran festzumachen, ist der erste Schritt, mein Ego von der Bühne zu verbannen. Das komplett zu schaffen: eine Lebensaufgabe!
Wie kann ich nun besser werden im Annehmen?
Der erste Schritt ist, die Situationen zu erkennen, in der ich meine Verletzlichkeit aufdecke und meinen Selbstwert an meinen Ideen festmache. Auch wenn ich weiterhin an meinen Ideen hänge und diese noch nicht ganz loslassen kann, entwickle ich ein Bewusstsein dafür, dass und wann ich mich so verhalte. Der erste Schritt zur Veränderung ist getan.
Dann kann ich in diesen Situationen – nicht nur auf der Bühne – bewusst darauf verzichten, die Kontrolle zu behalten und mich einlassen.
Wenn alles gut läuft, erlebe ich dann, dass es genauso befriedigend für mein Selbstwertgefühl sein kann, dass ich die Fähigkeit zum Loslassen und zum Eingehen auf mein Gegenüber habe… und damit vielleicht gar nicht mehr mein Ego an meine Ideen hängen muss.
Üben lässt sich das Annehmen von Angeboten ständig. Dann fahre ich eben nicht erst zum Einkaufen, sondern mach doch noch den Abstecher zum Spielplatz, wie meine Tochter sich das wünscht. Am ungefährlichsten ist es jedoch im geschützten Rahmen eines Improvisationstheater-Workshops. Wenn ich mich hier darauf einlasse, dass ich meine*n Spielpartner*in gar nicht heiraten, sondern eben erschießen wollte, sind die Folgen eine veränderte Szene und im Zweifel eben kein quengelndes Kind im Sandkasten, das keine Lust mehr auf Einkaufen hat.
Eine Randbemerkung:
Leider scheitert das Annehmen einer Idee oft schon an einem Schritt vorher: dass ich überhaupt mitbekomme, dass mein* Partner*in ein Angebot gemacht hat. Dass ich also achtsam genug bin, meine Umgebung in mich aufzunehmen. Wir beschreiben das häufig damit, „im Moment zu sein“. Aber das ist noch einmal ganz eigenes Thema…
Nadine Antler (April 2020)